Kapitel 20 - Ein neuer Auftrag

Vermillion öffnete langsam die Augen und starrte für eine Weile an die Decke. Der Morgen brach an und die Sonnenstrahlen erhellten das Hotelzimmer in der sich die zwei Attentäter ein temporäres Heim gefunden haben. Sie warf einen Blick auf die Bettseite neben ihr, dort wo Hive seinen Alkoholrausch ausgeschlafen hatte, doch keine Spur war von ihm zu sehen. Sie gähnte und setzte sich auf. Stimmt ja, gestern war er doch vom Bett gefallen, vielleicht schlief er dort noch.

„Morgen, Hive."

Keine Antwort. Nicht einmal ein zufriedenes Schnarchen. Irgendwas stimmte hier nicht. Normalerweise sollte sie diejenige sein, die immer als Erstes aufstand. Okay, vielleicht saß er ja im Balkon mit einer Zigarette in der einen Hand und mit einem Kaffee auf der anderen. Na gut, erst einmal aufstehen, denn heute war ein wichtiger Tag.

Sie zog sich an, stieg aus dem Bett und ging ins Badezimmer. So wie es aussah, war sie die einzige im gesamten Hotelzimmer. Sie putzte sich die Zähne und wusch sich die Müdigkeit aus ihren Augen, bevor sie das Badezimmer verließ und aus dem Fenster in den Balkon blickte. Noch keine Spur von ihm. Dann müsste er wohl früher aufgestanden sein und befand sich jetzt wahrscheinlich in einer der Hotelbars im Erdgeschoss. Sie seufzte schwer, als sie darüber nachdachte, wie sie ihn am Effektivsten aus seiner Trinksucht herausholen könne.

Sie kehrte zu ihrem Doppelbett zurück und wollte schon nach draußen gehen, als plötzlich etwas klingelte. Es war nicht die Zimmertür, so viel war sicher, denn sie kannte diesen Klingelton. Es war ihr Handy. Und tatsächlich: Als sie dem Ton folgte und aus Hive's Bettseite hervorlugte, fand sie es auf dem Boden liegen.

„Was zur Hölle?"

Sie hob das Handy auf und blickte misstrauisch auf den Fundort. Was hatte ihr Handy hier zu suchen? Vor allem auf seiner Bettseite? Moment mal, hieß das…

„Hab ich dich!"

Bevor sie einen weiteren Gedanken machen konnte, packte sie eine Hand an ihrem Unterkiefer und schmiss sie mit so einer Wucht auf das Bett, sodass sie sich mit dem Kopf am Bettrücken stieß.

Sie brachte einen überraschten Schmerzensschrei heraus, als sie auf die Person starrte, die vor ihr stand und sich ihr näherte, mit einem Telefon in seiner Hand.

„Hive, was…"

Er warf das Telefon auf das Bett.

„Spiel dich nicht auf. Du weißt genau, warum ich hier bin.", sagte er, während er sie mit beiden Händen am Hals würgte.

„Örkhh…"

„Du warst gestern Nacht wohl beschäftigt, habe ich nicht Recht? HÄ? HABE! ICH! NICHT! RECHT?", brüllte er und schüttelte sie mit jedem Wort immer mehr.

„Wer ist die Person, mit der du telefoniert hast? SAG ES MIR, SONST BRINGE ICH DICH UM!"

Sie konnte kein Wort herausbringen, sondern versuchte sich verzweifelt aus seinem Griff befreien. Keine Chance, sein Griff war zu stark.

„VERMILLION!"

„Kkrrrhhh…"

Sie spürte, wie sich sein Griff leicht lockerte. Vermillion hustete mehrmals.

„Ich… ich weiß nicht, wovon du sprichst.", brachte sie hervor.

„Dein Anrufverlauf sagt etwas anderes. Die Spielchen sind vorbei, Vermillion.", sagte er und nahm ihr das Handy aus der Hand.

„'Unterdrückte Nummer'... Wer ist das? WER! IST! DAS?"

Keine Antwort. Alles was sie tun konnte, war in seine irren Augen zu starten. Davon hätte sie wissen müssen. Mit ihm war es noch nicht vorbei.

„Ha-Hive…"

„Ich war ein Idiot."

Er warf das Handy weg.

Seine Hände packten zu und drückten nur umso fester als zuvor. Nun wurde es wirklich kritisch, als ihr die Luftzufuhr beinahe vollständig verwehrt blieb.

„Örkkkhh…"

„Ihr seid doch allesamt nur Lügner…", murmelte er.

Die Sicht wurde immer verschwommener, während sie verzweifelt um Sauerstoff kämpfte, doch diesmal ließ Hive nicht los.

„Ha-... H…"

Es war ein langsamer Prozess. Ein schmerzverzerrtes Röcheln war das Letzte, was sie noch zu Stande bringen konnte.

—-

„ICH WEIẞ VON NICHTS…!"

Sie blickte um sich. Das Hotelzimmer in der sie sich befand, wurde von außen mit dichten Sonnenstrahlen gefüllt. Sie rieb sich am Hals. Keine Gewalteinwirkungen. Sie atmete schnell, beinahe hyperventilierend. Vermillion starrte an die Decke, ungläubig, was gerade geschehen war. War das ganze nur ein Traum? Sie war noch am Leben, das war sich-

Ein zufriedenes Schnarchen von der anderen Seite des Bettes unterbrach ihren Gedankengang. Stimmt ja. Wo war Hive? Sie kroch an seine Bettseite und sah ihn dort auf dem Boden liegen, wo sie ihn gestrige Nacht gefunden hatte. Sie fasste sich erleichtert ans Herz und setzte sich auf ihrer Bettseite hin, womöglich, um sich vom Schock zu erholen. Ein Blick auf die Wanduhr ließ sie jedoch erneut hochfahren.

„Schon 9:30 Uhr, Scheiße!"

Ungeduldig lief Vermillion zur Bettseite, wo Hive gerade schlief und versuchte ihn mit aller Kraft wachzurütteln.

„Steh schon auf, Hive, wir haben verpennt."

„Nur noch'n Paar Minutn… lass mich noch pennen.", brachte dieser schlaftrunken hervor. Sie seufzte schwermütig.

Hive gähnte, während sie den Fußgängerweg entlang gingen, nachdem sie beide das Hotel verlassen hatten.

„Sag mal, Vermillion.", sagte er.

„Was ist denn jetzt schon wieder?"

„Warum nehmen wir in letzter Zeit nur Aufträge aus China an?"

„Seit letztem Jahr gibt es mehrmals Partnerschaften mit Organisationen aus Gebieten wie Peking und Hongkong, was du sicherlich schon weißt."

„Äh… ja, denke ich."

Vermillion rollte genervt mit den Augen.

„Das Geld, welche wir durch unsere abgeschlossenen Aufträge erhalten, wird uns zurückgezahlt. Deswegen arbeiten wir für sie."

„Und was ist mit der Organisation?"

„Was?"

„Du weißt, welche ich mein."

„Nein, von ihr erhalten wir keinen Profit. Deren Erhalt finanzieren sie stattdessen sich selbst und der Weiße Lotus."

„Heißt also, wir müssen für sie nur noch die Drecksarbeit erledigen.", murmelte Hive und spuckte angewiedert auf den Boden. Vermillion warf einen Blick hinter sich auf Hive, ohne sich umzudrehen. Seiner Vergangenheit nach zu Urteilen hat ihn etwas so sehr traumatisiert, dass er über die Organisation nicht weiter sprechen wollen würde.

(„Ich war ein Idiot.")

Er würde sie ohne zu zögern umbringen. Sie ließ sich den Gedanken mehrmals durch den Kopf gehen. Hive war unberechenbar. War es etwa das, was ihr Angst machte, oder hatte sie das alles von ihm nur ausgedacht?

„Vermillion, bleib stehen.", sagte er. Sie hielt inne und wandte sich ihm zu. Sie erblickte einen breitgebauten Mann mit einer rauchenden Zigarette im Mund, der ihnen hinterhergelaufen war und sich jetzt dicht hinter Hive befand. Vermillion erkannte diesen Mann.

„Tu ihm nichts, sonst sind wir in Schwierigkeiten.", sagte sie und ging auf ihn zu. Hive musterte ihn mürrisch, als dieser seine Zigarette auf den Boden warf und ihn mit seinem Schuh zerdrückte.

„Vermillion und Hive, zu Diensten.", antwortete sie und verbeugte sich vor ihm. Hive stand nur daneben und sah ihr dabei zu.

„Hive, du auch."

„Hä?"

„Hive!"

Er starrte dem Mann voller Argwohn in die Augen. Dann lächelte er.

„Was zur Hölle tust du da? Verbeuge dich sofort!", flüsterte sie wütend, doch Hive ignorierte ihren Befehl.

„Läufst du uns hinterher?", fragte er und funkelte den Mann hinter sich böser Vorfreude an.

„Ist das dein Partner, Vermillion?", antwortete dieser mit einer tiefen und rauen Stimme.

„J-Ja, bitte entschuldigen Sie sein Verhalten.", sagte sie und flüsterte Hive erneut zu.

„Reiß dich zusammen, du Vollidiot."

Er grinste.

„Gehörst du zum Auftraggeber?"

Keine Antwort. Stattdessen packte dieser Hive mit nur einer Hand am Hals und würgte ihn. Ein überraschtes Keuchen kam ihm hervor, als er voller Verwunderung merkte, mit welcher Leichtigkeit dieser es vollbrachte, ihn vom Boden in die Luft zu heben. Der Mann nahm sein verzweifeltes Strampeln nicht ernst, nein, er betrachtete ihn mit einem kuriosen Blick.

„Hive!", rief Vermillion sichtlich erschrocken.

„Ein falscher Zug könnte Ihr Genick mit Leichtigkeit brechen. So ungefähr.", sagte der Mann und demonstrierte es vor ihr, indem er Hive's Halsknochen knacken ließ.

„Ich flehe Sie an, bitte verzeihen Sie sein Verhalten!"

„Menschen sind wirklich sehr gebrechliche Wesen, nicht wahr?"

Ein grinsendes Lächeln kam im Gesicht des Mannes zum Vorschein, als er Hive unsanft auf den Boden warf.

„Ich hatte Glück, dass die Straßen um diese Uhrzeit beinahe noch menschenleer sind, sonst wär's schlimm ausgegangen.", bemerkte er und rückte seine Krawatte zurecht. Hive schnappte nach Luft und hustete vehement.

„Alles okay?", fragte sie besorgt und wollte sich ihm nähern, doch er schlug ihre Hand ab.

„Verdammt, du… Bastard!", brachte Hive wutverzerrt hervor, als er sich wieder aufgerappelt hatte. Der Mann nahm ein kleines Gerät aus seiner Jackentasche und drückte auf den Knopf. Ein schrilles Piepsen ertönte aus dem Lautsprecher.

„Ein falscher Zug und ihr beide seid tot, verstanden?"

Hive hielt sofort inne. Vermillion starrte auf sein schockerstarrtes Gesicht.

„Wi-Willst du uns etwa beide umbringen? Hier und jetzt?", rief sie.

„Hier und jetzt.", bestätigte er.

„Hah… Versuch es ruhig.", murmelte Hive.

Beide Männer starrten sich wütend in die Augen, bis der breitgebaute Mann das Gerät wieder in seine Jackentasche steckte.

„Heh, nun…"

„Das ist nur ein Bluff. Du kannst uns nicht töten, habe ich recht?", antwortete Hive kampfbereit. Der Mann lächelte leicht.

„Das Töten von Auftragsnehmer liegt nicht in meiner Entscheidung. Versteh mich nicht falsch, wenn mir mein Boss vollkommen egal wär, hätt' ich das schon längst getan."

Hive fasste sich am Hals, dort wo der Mann ihn vor kurzem gewürgt hatte.

„Sag, wer schickt dich.", befahl er.

„Meister Cheng."

„Cheng?"

„Meister Cheng, wenn ich bitten darf…"

Vermillion sprang dazwischen.

„Hive, das ist Hu Lie Cheng, eines der einflussreichsten Chinesischen Kartellbosse im Osten Chinas."

„Ganz recht. Er schickt mich, um euch abzuholen. Er hat einen neuen Auftrag für euch."

„Bringen Sie uns bitte zu ihm.", sagte sie und verbeugte sich. Hive rollte genervt mit den Augen.

„Sehr wohl.", sagte der Mann und gab ihnen ein Zeichen mitzukommen.

—-

Sie betraten ein Hochhaus und gingen durch die Eingangshalle zur Rezeption, die sich Rechts vom Eingang befand. Als der Mann bei der Rezeptionistin ankam, zeigte er ihr seinen Personalausweis, welches er in seiner Hosentasche an einem Anhänger befestigt hatte.

Die Frau zeigte sich verständlich und nickte. Sie betätigte einen Knopf auf ihrem Tisch und sagte etwas auf Chinesisch in ein Mikrofon. Aus dem Hörer ertönte ein zustimmendes Raunen, wobei sie sich zum Mann vor ihr wandte und ihm ein Zeichen gab. Dieser nickte und drehte sich zu den zwei Attentätern um.

„Meister Cheng erwünscht Euch. Ihr dürft jetzt sein Zimmer betreten. Bitte folgen Sie mir zum Aufzug."

„Vielen Dank."

„Jetzt müssen wir auch noch Aufzug fahren? Dieser Meister Cheng hält echt kein Blatt vor dem Mund.", murmelte Hive. Ihn interessierte diese ganze Sache eher weniger, das vermutete Vermillion jedenfalls. Aber eine Mission ist eine Mission. Da kommt man nicht daran vorbei.

Die Türen des Aufzugs schlossen sich. Der Mann drückte einen Knopf mit der Aufschrift '6'. Insgesamt gab es 7 Stockwerke.

„Wie hoch ist dieses Gebäude denn eigentlich?", fragte Hive, als er die Knöpfe mit den Nummern entdeckte.

„Hive…", flüsterte Vermillion wütend und gab ihm einen Stoß von der Seite.

„Ich kann doch wenigstens fragen oder?"

„Fast 85 Meter, soweit ich weiß. Der siebte Stock wurde erst kürzlich erbaut."

„Ach so.", murmelte Hive, als ihm jemand auf die Schulter tippte.

„Hier, nimm das.", sagte Vermillion und drückte ihm plötzlich ein paar Blätter aus ihrer Tasche in die Hand, die sie seit ihrem ersten Treffen nach Monaten mit sich trug.

„Was ist das?"

„Wichtige Unterlagen. Die sind für unsere Berichterstattung wichtig und wir müssen sie bei ihm abgeben."

„Bei wem?"

„Meister Cheng."

„Sechster Stock.", sagte die automatische Stimme aus dem Aufzugslautsprecher und die Tür ging vor ihnen auf. Die drei verließen den Aufzug und gingen einen Gang entlang.

„Seit wann machen wir Berichterstattungen?"

„Seit letztem Monat. Wir haben uns seit einiger Zeit nicht gesehen, deswegen weißt du ja nichts davon. Ich hätte es dir sagen sollen, tut mir leid."

„Das verstehe ich ja, aber…"

„Meister Cheng, sie sind hier.", sagte der Mann und versenkte seine Kippe in einem Aschenbecher, bevor er aus dem Inneren des Raumes ein missmutiges Raunen vernehmen konnte und er die Eingangstür zum Büro aufmachte.

„Und ihr haltet gefälligst die Klappe…", fügte er mit kalter Stimme hinzu und beide verstummten wie auf Befehl.

Zum Vorschein kam ihnen ein Büro mit einem breiten Tisch, hinter dem ein eher dicklicher Mann in einer Tuxedo ähnlichen Aufmachung saß und an etwas zu schreiben schien. Sein Blick blieb weiterhin auf das Papier gerichtet, als ließe er sich nicht von seiner Arbeit ablenken. Ohne zu zögern traten die beiden Attentäter ein und während sich Hive im Zimmer umblickte, ging Vermillion direkt auf den Mann zu.

Sie verbeugten sich alle drei und hinter ihnen tauchte eine Frau auf, die dem Mann hinter dem Tisch einen Kaffee brachte, sich ebenfalls verbeugte und sich hinter ihm in Stellung brachte. Hive vermutete deutlich, dass sie ihnen hier als Dolmetscherin fungieren sollte und seine Vermutung bestätigte sich, als der Mann endlich vom Papier hochblickte und sich der Frau zuwandte.

Unklare Worte wurden flüsternd ausgetauscht und Hive beobachtete, wie die Frau anschließend nickte, der Mann seinen Blick auf Vermillion warf und sie in ihre Stellung zurückging.

„Meister Cheng heißt Sie alle willkommen und wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt hier in Beika. Dies hier ist das Reitsuten-Gebäude, eines der größten und zugleich wohlhabendsten Hochhäuser in ganz Beika."

„Ihnen auch, Meister.", antwortete Vermillion gehorsam. Hive blickte sie nur missmutig an. Wer war nun dieser Mann eigentlich? Warum zollten sie ihm denn alle so außerordentlich großen Respekt?

Ein weiterer Austausch der Worte zwischen ihnen. Die Dolmetscherin nickte erneut und fuhr fort.

„Da sich in letzter Zeit viele hochangesehene Touristen in diesem kleinen Teil Japans befinden, ist es schwer, hochrangige Gebäude wie diese zu finden und sie sprichwörtlich 'zu besetzen'. Deswegen möchte sich Meister Cheng darüber entschuldigen."

„Aber Meister, das brauchen Sie nicht. Das verstehen wir schon, oder Hive?", sagte Vermillion. Hive passte Mal wieder nicht auf.

„Oh äh… ja."

Gerade noch rechtzeitig geantwortet. Genau das sagte ihm ihr genervter Blick. Hive rollte mit den Augen. Der breite Mann hinter ihnen gab ihm ein Zeichen der Drohung mit seinem deutlich unzufriedenen Gesichtsausdruck.

„So wie es aussieht, haben Sie wohl schon Bekanntschaft mit Nummer 8 gemacht. Dann muss ich ihn Ihnen nicht erneut vorstellen.", antwortete die Dolmetscherin. Dann erhob sich der Chinese neben ihr plötzlich vom Drehstuhl und warf einen musterenden Blick in die Runde.

„Nummer 8? Sie meinen doch wohl nicht…", fragte Hive.

„Ich dachte, Sie kennen ihn schon.", antwortete die Übersetzerin.

„Verzeihung, das ist meine Schuld. Ich habe ihn noch nicht vorgestellt, er kennt ihn leider noch nicht.", sagte Vermillion und verbeugte sich.

„Hive, das ist unsere Nummer 8, Codename White Noise. Er ist der jüngere Bruder des Meisters und sein Leibwächter höchsten Ranges.", fuhr sie fort und White Noise gab ihm zur Begrüßung einen so starken Händedruck, sodass dieser vor Schmerzen das Gesicht verzog und anschließend seine eigene Hand schüttelte.

„Sehr erfreut.", murmelte die Schrankwand und Hive warf ihm einen genervten Blick zu.

„White Noise wird euch in den nächsten Tagen eure Aufträge von oben weitergeben. Bitte enttäuschen Sie ihn nicht.", sagte die Übersetzerin.

Meister Cheng schnippte mit dem Finger, legte einige Blätter auf den Tisch und wendete sie in Vermillions Richtung. Vermillion nahm die Blätter und las sie sorgfältig.

„Ein Containerschiff?"

„Richtig. Vor zwei Wochen verließ einer unserer Frachten die Französische Grenze und wird heute Abend zu uns im Hafen Beika stoßen. Das Schiff ist eine Orion SII der 50 Meter Klasse. Genauere Anweisungen werden von White Noise an Sie weitergegeben.", erklärte die Frau.

„Was für eine Fracht?", fragte Hive neugierig.

„Das bleibt geheim. Sie sind nicht autorisiert, diese Information zu erhalten."

„Ihre Aufgabe besteht lediglich darin dieses Schiff, genauer gesagt die Fracht darin, zu verteidigen.", antwortete White Noise.

„Zu verteidigen? Vor wem?"

„Wir sind nicht die einzige Organisation, die die Fracht haben wollen.", sagte eine weitere Frauenstimme hinter ihm. Als Hive sich nach der Stimme umwandte, erblickte er ihre schwarzen Haare, die über ihr rechtes Auge lagen und einen Smoking, den sie trug.

„Nummer 2?", brachte Vermillion überrascht von sich. Die Frau hinter ihnen lächelte.

Sie verbeugte sich, ging an den Dreien vorbei und näherte sich Meister Cheng. Die Frau legte einen kleinen Stapel Blätter auf den Tisch des Meisters und fuhr mit ihrer Ansprache fort.

„Die Familie Hondo ist eine Organisation, das Mitglied der in Japan allseits verbreiteten Yakuza ist. Seit letztem Monat sind sie uns schon ein Dorn im Auge, da weitere Lieferungen gekapert und ausgeraubt wurden. In den meisten Fällen werden die Schiffsbesatzungen allesamt gefangen genommen oder es wird einer nach dem anderen erschossen. Diese Schweine sind jedoch vorsichtig genug, um keine Fehler zu machen, weshalb es die Tokioter Polizei schwer hat, irgendwelche Beweise für ihre Raubzüge auf den Tisch zu legen."

„Aber Meister Cheng… Sind Sie sich sicher, dass wir das hinkriegen werden, ohne dass einer von uns stirbt? Ohne Verstärkung wäre es eine sichere Selbstmordaktion!"

„Die brauchen sie ja auch nicht.", sagte die Dolmetscherin ruhig.

„Was?"

„Hive ist Ihnen Verstärkung genug, oder?"

Vermillion lachte verzweifelt.

„Wir sind zu zweit gegen was weiß ich wie viele von ihnen! Wie können wir ihnen dann Widerstand leisten?"

„Keine Sorge, Vermillion. Ich krieg das locker hin.", antwortete Hive und grinste.

„Spiel dich nicht auf, du Vollidiot! Gerade du hast kein Recht hier einen auf Held zu machen!", rief sie ihm wütend zu.

„Ich kann Ihnen versichern, dass Hive einer der Besten ist, die unsere Organisation zu bieten hat. Haben Sie Vertrauen in ihn.", sagte die Übersetzerin.

Vermillion warf einen kurzen, beurteilenden Blick auf Hive, dann gab sie es auf und seufzte.

„Gut, wenn es das ist, was Sie von uns erwarten, dann werden wir Sie nicht enttäuschen.", antwortete sie schwermütig und verbeugte sich erneut vor Cheng.

Der Chinese gab ihr ein Zeichen und die Frau hinter ihm reagierte sofort.

„Sie dürfen jetzt das Stockwerk verlassen."

„Sehr wohl, Meister.", sagte Vermillion, kehrte ihm den Rücken zu und gab Hive ein Zeichen, dass er mitkommen sollte.

Die zwei Attentäter verließen das Büro und die Eingangstür schloss sich. Stille breitete sich aus, bis…

„Wie lief die Operation, Nerve?", gab Cheng auf Chinesisch von sich. Seine Stimme war rau und hörte sich eher genervt als wütend an.

Die Frau im Smoking lächelte.

—-

„Aber wenn ich es dir doch sage, ich hab sie wirklich gesehen! Da war ein Mädchen in Ran's Alter, die genauso aussah wie Ayumi!", erwiderte Mitsuhiko, während er Genta versuchte, ihn über die Situation in Professor Agasa's Wohnung aufzuklären. Die beiden machten sich gerade auf den Weg dorthin, damit Mitsuhiko ihm den nötigen Beweis liefern konnte.

„Vielleicht ist es ja nur ein neuer Fall und das Mädchen braucht unsere Hilfe.", antwortete Genta und verschränkte nachdenklich die Arme.

„Möglich wär's, aber irgendwie stimmt hier einiges nicht."

„Hä? Was meinst du damit?"

„Seit wann hast du Ayumi das letzte Mal gesehen?"

„Woher kommt die Frage so plötzlich?"

„Beantworte einfach die Frage."

„Seit vorgestern, schätze ich. Das letzte Mal, wo ich sie gesehen habe, war, als wir bei ihr im Zimmer waren, oder?"

„Ich habe von Ai gehört, dass sie sich derzeit beim Professor befindet. Als ich jedoch bei ihm war, hat Ai gesagt, dass ich nicht zu ihr gehen könnte."

„Warte mal, Mitsuhiko. Warum ist sie dann nicht Zuhause, wenn sie so krank gewesen ist?"

„Genau darauf will ich hinaus, Genta. Du hast doch selbst gesehen, wie schwach und krank sie war. Ich finde es total komisch, dass sie sich nicht, wie üblich Zuhause erholt, sondern beim Professor."

„Vielleicht hat der Professor ein Medikament für sie entwickelt."

„Blödsinn, Conan hat doch gesagt, er hat eine ganze volle Packung Medikamente neben sie auf die Kommode gelegt, erinnerst du dich nicht mehr daran? Die müssen doch locker ausreichen, oder?"

„Stimmt."

„Also ich denke, dass da wirklich was im Busch ist."

„Mitsuhiko."

„Was ist?"

„Denkst du wirklich, dass dieses Mädchen und Ayumi eine Verbindung zueinander haben?"

„Nein, ich glaube nicht. Obwohl sie ihr ähnlich sah, bin ich mir sicher, dass sie nur kurz vorbeigekommen war. Mist, ich hätte gestern länger beim Professor bleiben sollen, anstatt nach Hause zu gehen."

„Ist Spionage nicht strafbar?"

„Mach mir bitte keine Vorwürfe, das ist ein ernstes Thema."

„Sei ehrlich, du wolltest nur Ai hinterhergucken, oder?", stichelte Genta und grinste über beide Ohren.

„Wa-wa-was… was redest du da für einen Blödsinn?! Nein, natürlich nicht!", rief er mit rotem Gesicht und wedelte wie verrückt mit den Händen.

„Bist du dir da ganz sicher? Du bist doch in sie verliebt, hab ich Recht?", sagte er und imitierte ein Knutschgesicht vor seiner Nase.

„Hör auf damit, Genta! Nie-niemals… Du vielleicht, ich nicht!"

„Stimmt nicht! Ich und Ai? Pah, nicht im geringsten!", antwortete Genta beleidigt und verschränkte seine Arme in Protest, obwohl er selbst merkte, dass auch sein Gesicht rot anlief.

„Aha, du bist rot im Gesicht. Das heißt also, dass du lügst, ist doch klar!", rief Mitsuhiko triumphierend und streckte ihm den Zeigefinger entgegen. Jetzt wurde Genta wütend.

„Du doch auch… Na warte, wenn ich dich in die Finger kriege, dann war's das mit dir.", begann er und stürtzte sich auf ihn. Dieser merkte, dass er möglicherweise zu weit gegangen war und rannte davon. Genta war ihm direkt hinter den Fersen, als er ihn zum Haus von Professor Agasa folgte.

– Kapitel 20 ENDE –