Not An Ordinary Day
Ein ganz normaler Tag.
Das hatten wir alle erwartet, aber so war es nicht gekommen. Dabei hatte dieser Tag wie jeder andere auch angefangen. Nichts hatte darauf gedeutet, dass er alles andere als 'normal' verlaufen würde.
Wie jeden Morgen war ich in der Schule angekommen und als erstes zu meinem Schließfach gegangen. Mason, mein bester Freund lehnte schon daneben und wartete auf mich. Wir warteten immer auf einander. War er vor mir da, wartete er an meinem Schließfach. War ich vor ihm da, wartete ich an seinem Schließfach.
Sein rotes Haar sah man schon von weitem. Mason hatte eine typische Kerl-Größe. Er war so um die 1,80m, mit dem roten wuscheligem Haar und den blauen Augen. Und natürlich passend zum Klischee besaß er die ein oder andere Sommersprosse auf der Nase.
„Morgen Rose", grinste er zur Begrüßung und drückte mich an sich.
„Morgen Mase", grüßte ich zurück und schlang die Armen um seine Hüften.
Danach wandte ich mich an mein Schließfach und gab die Kombination ein. Erst nach rechts drehen bis zur 93, wieder nach links zur 2, wieder nach rechts zur 17 und offen.
Ich suchte mir meine Bücher zusammen und verstaute einige Sachen für später im Schließfach.
„Hey, hast du Mathe verstanden?", fragte Mason abwesend und sah den Gang hinunter.
„Ja, so schwer war das nicht", erwiderte ich. „Wieso? Hattest du Probleme?"
„Na ja, bei der zweiten -"
Ein lautes Krachen unterbrach Mason. Überrascht sahen wir beide den Gang hinunter. Seufzend erblickte ich Alina am Boden.
Wir waren eine typische Schule aus irgendeiner TV-Serie oder irgendeinem Teenie-Buch. Wir hatten die Sportler, die gleichzeitig die Beliebten waren. Wir hatten die Außenseiter und Loser, wir hatten die Streber und die Kreativen. Und wir hatten bestimmte Schüler, denen es immer schwerer gemacht wurde als allen anderen. Bei uns gehörte Alina dazu.
Alina war schlau, sogar sehr schlau. Sie bekam ausschließlich Einsen, arbeitete dafür aber auch sehr hart. Sie war nicht besonders groß und auch ziemlich dürr, ein leichtes Ziel. Sie hatte keine Geschwister und leider auch keine Freunde, die für sie hätten einstehen können.
Die Beliebten unserer Schule hackten immer auf ihr herum. Einen richtigen Grund gab es nicht, sie konnten es einfach. Sie machten sich über Alinas Intelligenz lustig oder ihre Größe.
Anfangs blieb es auch noch dabei, aber inzwischen ging es auch soweit, dass mal ihre Bücher verschwanden oder ihr Sportzeug. Einmal kam sie aus der Umkleide gerannt und war mit Kaffee getränkt und Tränen überströmt nach Hause gerannt.
Sie tat mir Leid. Aber in jeder Schule gab es eine gewisse Hierarchie und um ehrlich zu sein, war ich einfach nur froh, dass ich nicht so häufig wie sie in der Schussbahn landete. Wir alle bekamen unser Fett weg, immer, so war das nun mal.
Während ich meinen Gedanken nachhakte, sah ich wie Alina auf dem Fußboden lag. Jemand hatte ihr ein Bein gestellt und sie hatte all ihre Sachen fallen lassen. Während sie versuchte sie aufzuheben, traten ein paar Sportler sie aus ihrer Reichweite, während die Mädchen kicherten und über sie herzogen.
Ich konnte sie durch die Entfernung nicht hören, aber ich sah ihre Münder und die gehässigen Blicke.
„Sie tut mir Leid", bemerkte ich.
„Besser sie als wir Rose"
„Mason!", meinte ich entrüstet
„Was? Ich weiß es ist hart, aber komm schon, wir müssen da alle durch. Erst gestern durfte ich eine halbe Stunde in meinem Spind verbringen, ehe du mich gefunden hast. Sei froh, dass du diesen Morgen nicht dran warst."
Mason zuckte die Schultern und so brutal es auch klang, er hatte recht. Ich war froh nicht an Alinas Stelle zu sein, auch wenn sie mir noch so Leid tat.
„Trotzdem", nuschelte ich noch.
Mason schenkte mir einen verständnisvollen Blick. Auch er war mit der Hierarchie und dem Mobbing an der Schule alles andere als einverstanden. Aber wir beide wussten, dass wir allein nichts ausrichten können. Es war nicht so, als hätten wir es nie versucht, dass hatten wir. Es hatte nur einfach nicht geklappt.
Wir beide waren für die gesamte siebte Klasse die favorisierten Opfer gewesen. Hätten wir einander nicht gehabt, wer weiß was wir getan hätten. Vielleicht wären wir gar nicht mehr auf dieser Schule.
Aber dann kam die achte Klasse und Alina war hergezogen. Zu ihrem Unglück hatte sie auch noch eine Klasse übersprungen und war somit augenblicklich zum Opfer aufgestiegen in dieser Schule.
Sogar Lehrer versuchten immer wieder sie zu integrieren, aber es nütze einfach nichts.
„Irgendwie stinkst hier", hörte man die tiefe Stimme von Dimitri durch die Korridore hallen.
Er stand direkt vor Alina und sah aus seiner Höhe auf sie hinab. Dimitri war bestimmt zwei Meter groß. Er war prädestiniert dazu, Sportler zu sein. Er war auch so ziemlich in jedem Schulteam der Kapitän.
Er hatte braunes, etwas längeres Haar. Die Farbe von dunklem Schokoladen braun, genau wie seine Augen. Durch den vielen Sport war er körperlich mehr als gut in Form. Jedes Mädchen schwärmte ihm nach und kein Junge wagte es, sich ihm in den Weg zu stellen.
Ich sah auf Alina hinab, der Tränen in die Augen stiegen. Das Problem war, dass Alina das volle Paket erhalten hatte. Sie war das typische Bild eines Strebers, mit all den guten Noten und all den vielen Allergien. Daher konnte sie weder ein Parfüm noch Deo benutzen. Natürlich duschte sie jeden Tag. Aber nach mindestens sechs Stunden in brühender Sommerhitze, half auch das nichts mehr.
„Ihhh", machte Mia neben Dimitri. „Agne-Alina."
Ihre nasale Stimme schmerzte in den Ohren. Sie klang wie Kreide, die auf einer Schiefertafel kratzte.
Die beiden waren das 'On und Off'-Paar der Schule und immer vorne mit dabei, wenn es um das Niedermachen anderer ging. Sie genossen ihren Rum, genau wie all ihre Freunde um sie herum. Dies galt für jeden Cheerleader und Sportler.
Mit einem letzten Blick auf Alina kehrte ich ihr den Rücken zu. Für einen kurzen Moment, begegneten sich unsere Blicke. Sie sah mich mit Tränen in den Augen an. Sie sah … gebrochen aus.
Es klingelte und die Masse um Alina löste sich auf und sie beeilte sich ihre Sachen zusammen zu sammeln.
Mason und ich wanderten die Korridore entlang. Wir mussten uns beeilen. Der schnellste Weg in unseren Unterricht ging eigentlich nicht hier entlang, aber um der Szene um Alina zu entgehen, machten wir einen Umweg. Mit Glück kamen wir noch rechtzeitig im Klassenraum an und suchten uns unsere Plätze.
„Hey, gib mir mal die Hausaufgabe bitte", flüsterte Mason.
Ich verdrehte die Augen und suchte grinsend in meiner Tasche nach dem Mathe Ordner. Als ich ihn gefunden hatte, reichte ich ihn Mason, der ihn dankbar annahm und die Aufgabe abschrieb.
Er schaffte es gerade noch rechtzeitig, ehe unsere Mathe Lehrerin durch die Reihen ging, um sich die Aufgaben anzugucken.
Der Vormittag verlief schleppend, war aber auch irgendwann vorbei. In letzter Zeit war der Unterricht einfach nur noch langweilig und zog sich in die Länge. Wir passten alle kaum noch auf, wir saßen die Zeit eher ab. Zur Mittagspause gingen Mason und ich wie auch alle anderen in die Mensa zum Mittagessen.
Wir beide kauften uns nie etwas, da das Essen hier ungenießbar war, aber es war ein guter Ort um die Zeit tot zu schlagen. Auf jeden Fall sicherer als allein auf den Korridoren. Hier war die Chance kleiner, blamiert zu werden.
Mason und ich saßen wie immer allein an einem Tisch und das war auch gut so. Manchmal kam noch Masons bester Freund Eddie zu uns. Aber im Gegensatz zu Mason war Eddie einer der beliebtesten Schüler der Schule. Er war Teil der Footballmannschaft und ziemlich cool. Ihn scherte es nicht, dass Mason und ich zu den Außenseitern der Schule gehörten. Mason und er waren Sandkasten Freunde und Eddie ließ ihn nicht fallen.
Mason hätte ebenfalls ins Football Team kommen können, aber er lehnte es kategorisch ab, weil er die anderen (abgesehen von Eddie) nicht leiden konnte. Ich konnte diese Entscheidung durchaus nachvollziehen.
„Hey Mase, Rose", begrüßte uns Eddie im Vorbeigehen.
Er grinste, winkte einmal kurz und ging dann weiter zu seinem typischen Sportler Tisch. Eddie sah aus wie ein typischer Footballspieler. Er war einen Kopf größer als Mason, sehr muskulös durch all das Training. Er hatte Sand blondes Haar, dass ihm in die Stirn fallen würde, würde er es nicht mit Gel aufrecht halten. Dazu besaß er braune Augen. Er sah aus, als käme er von der Küste und würden jeden Tag surfen, und in den Ferien tat er auch genau das.
Die Mittagspause über alberten Mason und ich wie immer herum. Aber dann wurden wir überraschenderweise von Lissa unterbrochen.
Lissa hatte platinblondes, glattes Haar und unglaublich jade grüne Augen. Sie hat mal zu den beliebtesten der Schule gehört und ihr großer Bruder Andre tat das immer noch. Aber nachdem Lissa Christian kennengelernt hatte – den verrückten Feuerteufel und Einzelgänger – hatte sie ihre Position als ersten Cheerleader aufgegeben. Die beiden waren innerhalb von einer Woche ein Paar geworden und schon seit mindestens zwei Jahren zusammen. Ich beneidete sie um ihr Glück.
Christians Schwester Tasha wurde schnell zu Lissas neuer bester Freundin. Sie war wie Christian ebenfalls eine Einzelgängerin. Die Geschwister trugen beide immer sehr viel schwarz, hatten beide schwarze Haare und hatten beide eine gewisse düstere Aura um sich herum. Deshalb mieden die meisten sie und die beiden blieben eher unter sich. Und nun wurde aus dem Duo mit Lissa ein Trio.
Christian hatte stechend blaue Augen, Tasha abenfalls. Beide gehörten sie zur Kategorie Punkrock oder Metal. Sowohl äußerlich als auch innerlich.
Lissa engagierte sich für ziemlich viel was mit Tieren zu tun hatte und genau deshalb kam sie auch an unseren Tisch
„Hey, ihr zwei", grüßte sie uns gewohnt gut gelaunt.
„Hey Lissa", grinste Mason und winkte halbherzig.
Ich lächelte sie an und wartete darauf, mehr von ihr zuhören.
„Wie ihr wisst wollen wir am Freitag ins Tierheim fahren, um dort auszuhelfen. Allerdings ist ein Fahrer ausgefallen und nun fehlt uns ein Auto. Könnte einer von euch vielleicht einspringen?"
„Klar", meinte Mason sofort. „Eddie wollte mich und Rose mitnehmen, aber er hat soweit ich weiß noch vier Plätze frei."
„Vier?", fragte Lissa überrascht.
„SUV", erklärte ich. „Sieben-Sitze."
„Ah", meinte sie, aber ich sah ihr an, dass ihr das nichts sagte. „Danke. Könnt ihr mir bis morgen Bescheid geben, ob das klappt, oder nicht?"
„Machen wir", grinste Mason und zwinkerte ihr zu.
„Toll, danke. Bis später dann."
Und damit stöckelte sie auf ihren High Heels wieder davon zurück zu ihrem Freund. Lissa war in unserem Mathekurs, der direkt auf die Mittagspause folgen würde. Sie saß ganz hinten links gemeinsam mit Tasha. Aber so um gängig Lissa eigentlich war, so zurückgezogen war Tasha und blieb nur für sich. Warum wusste ich nicht.
Aber im Moment fiel mir etwas fiel wichtigeres ein.
„Mist!", zischte ich.
„Was?", fragte Mason.
„Ich habe mein Mathebuch in meinem Spind vergessen", grummelte ich und stand auf.
Schnell schulterte ich meine Tasche.
„Wir sehen uns gleich", meinte ich noch schnell und eilte aus der Mensa.
Direkt in dem Moment, an dem ich bei meinem Spind ankam, läutete es zum Beginn der Stunde. Natürlich machten sich die meisten erst jetzt auf den Weg zu ihren Klassen, aber dennoch musste ich noch durch die halbe Schule rennen.
„Mist", zischte ich verärgert.
Zu allem Überfluss hakte auch noch mein Schloss und ich bekam es nicht geöffnet.
„Oh, nun mach schon", meckerte ich still vor mich hin.
Aber es brachte nichts. Immer und immer wieder gab ich die Kombination, mal langsam, mal schnell, mal mit aller Gewalt, mal mit Geduld. Aber es brachte nichts!
„Argh!", raufte ich mir das Haar und schlug gegen den Spind.
Als ich ein Glucksen hinter mir vernahm, fuhr ich erschrocken herum. Dimitri lehnte an der Wand mir gegenüber mit den Händen tief in den Hosentaschen. Ein laszives Grinsen schmückte seine Lippen und ein gewisses Funkeln lag in seine Augen. Das ich ihn amüsierte, war klar zu erkennen.
„Kann man dir helfen?", gluckste er.
„Nein", knurrte ich und wandte mich wieder von ihm ab.
Ich atmete einmal tief durch und startete dann einen neuen Versuch mit meinem Schloss
„Lass mich mal", hörte ich Dimitris Stimme direkt neben meinem Ohr.
Seine Arme kamen links und rechts um mich herum und schoben meine Hände beiseite. Seine Brust drückte sich an meinen Rücken und er hielt mein Schloss in den Händen. Seine Hände arbeiteten präzise und ruhig und ehe ich es mich versah, klickte mein Schloss und war offen.
„So", meinte Dimitri an meinem Ohr und machte keine Anstalten, sich weg zu bewegen.
Doch anstatt ihm zu danken, wirbelte ich erneut herum. Aber als ich so nah vor ihm stand, erstarb mir jeglicher Kommentar auf der Zunge. Er schien das zu bemerken und grinste nur noch mehr. Aber eben dieses Grinsen, dass mich so störte, ließ mich wieder sprechen.
„Woher verdammt nochmal kennst du meine Kombination?", knurrte ich.
Er seufzte und grinste weiterhin. Gott, wie sehr mich dieses Grinsen ankotzte!
„Das würdest du gerne wissen", seufzte er kopfschüttelnd. „Aber diese Information bleibt dir leider verwehrt."
Mit einem gespielt mitleidenden Blick, tätschelte er mir die Schulter und ging dann den Gang entlang.
„Beeile dich etwas, du bist spät dran", rief er mir im wegdrehen zu, drehte sich aber nicht um.
„Arschloch", zischte ich, wohl wissend, dass er es hören konnte.
Ich hörte wie sein Lachen, von den Wänden wieder hallte und ich musste zugeben, dass es ein schöner Klang war. Aber sein Lachen wurde durch einen abrupten lauten Knall unterbrochen. Einen Schuss, der durch die Flure hallte.